Kapitel 8
Mit einem
Schmatzen lösten sich die Eingeweide aus dem Fisch. Die Klinge des blutigen
Messers blitzte auf, dann wurde der ausgenommene Fisch in eine Schüssel
geworfen, die Innereien landeten im Seewasser. Sam hockte auf dem Steg und
hatte die Ärmel seines Pullovers hochgekrempelt. Sein Parka hing über dem
Türknauf des Bootshauses.
Wie es schien,
waren Sam und Steffen nach Pauls Abgang noch recht erfolgreich gewesen. Große
und kleine Forellen türmten sich in dem Eimer, der neben Sam auf den Planken
stand. Leif sah einige Zeit den routinierten Bewegungen zu, mit denen Sam die
Fische ausnahm. Der schenkte ihm keine weitere Beachtung. Ein knapper Gruß war
alles, was er Leif entgegengebracht hatte, als dieser zum Steg hinuntergegangen
war. Eigentlich wäre es Pauls Aufgabe gewesen, das Gespräch zu suchen und sich
zu entschuldigen. Fand zumindest Leif. Doch Paul war stur und hatte sich zum
Arbeiten ins Labor zurückgezogen.
Verstohlen
wischte sich Leif die Handflächen an seiner Jeans ab. Er war nervös. Vielleicht
hatte er auch Angst. Doch er war kein Teenager mehr, der das Offensichtliche
ignorierte, damit es seine vermeintlich heile Welt nicht zerstörte. Er hatte
keine Angst, Sam zu verlieren. Es gab nichts mehr, was er noch zu verlieren
hatte. Nicht einmal seinen Stolz, denn er war gerade im Begriff, sich
lächerlich zu machen.
»Woher weißt du
davon?«, fragte Leif unvermittelt und kämpfte den Impuls nieder, sich auf dem
Absatz umzudrehen und davonzurennen.
Kurz stockte
Sam, dann setzte er seine Arbeit fort. In einer fließenden Bewegung tauchte das
Messer in den hellen Bauch der Forelle ein und durchtrennte das Gewebe mit
einem sauberen Schnitt.
»Wovon?«
Leif biss die
Zähne zusammen. Wahrscheinlich würde er gegen eine Mauer rennen.
»Der Spruch, den
du Paul gedrückt hast. Woher wusstest du davon?«, fragte er.
»Dass er auf
alte Frauen steht?«, brummte Sam und sah das erste Mal auf. Ein schadenfrohes
Grinsen huschte über sein Gesicht. »Da habe ich wohl einen Glückstreffer
erzielt.«
»Bullshit«,
knurrte Leif. »Du hast gesagt, er hätte Sex mit einer älteren Frau. Das ist
recht präzise für einen Glückstreffer, meinst du nicht auch?«
»Stimmt es
denn?«
Leif antwortete
nicht auf die scheinheilige Frage, sondern musterte Sam nur grimmig.
»Weißt du, ich
hab damals nicht gefragt. Nie. Hab wohl gehofft, dass du... dass du mir genug
vertraust, dass du... ach, keine Ahnung«, stammelte Leif.
Es kotzte ihn
an, dass Sam ihn so verunsicherte. Immer noch. Oder schon wieder?
Samuels blut-
und schleimbesudelte Hände hielten inne. Dann erhob er sich. Stand mit einem
Mal so dicht vor Leif, dass dieser glaubte, ihn riechen zu können. Sam, Wasser,
der metallische Geruch des Blutes. Es hatte etwas Bedrohliches, wie er vor ihm
aufragte, das Messer in der Hand. In seinen Augen tobte ein Sturm, sein Gesicht
hingegen war unbewegt.
Leif konnte ihn
spüren. Obwohl Samuel ihn nicht berührte, drang seine Präsenz bis auf Leifs
Haut, ließ sie spannen und prickeln. Wie eine Schlange kurz vor der Häutung, schoss es ihm
durch den Kopf. Er war versucht, die Zähne zu fletschen und Sam warnend
anzuknurren. Er mochte es nicht, in die Enge getrieben zu werden. Denn obwohl
er sich einfach nur umdrehen und den Steg hinunterlaufen müsste, konnte er sich
nicht rühren. Wollte sich nicht rühren. Wollte Sam keinen Fußbreit zugestehen.
Er. War. Kein. Junge. Mehr! Und er ließ sich nicht mehr von Sam beeindrucken,
schon gar nicht einschüchtern.
Leif zuckte
zusammen, als Sam die Hand hob und mit den Fingerspitzen über die Seite seines
Halses strich. Nass und kühl war die Berührung. Heiß tobte sie Leifs
Wirbelsäule hinab. Sie änderte alles. Er schluckte schwer. Kein klarer Gedanke
mehr, nur noch Wünsche. So primitiv, dass sie nicht in Worte zu fassen waren.
Er wollte davonrennen. Wollte bleiben und sich in die Hand des anderen lehnen.
Leif hatte vergessen, warum dies nicht möglich war. Niemals möglich sein würde.
Sam war so nah.
Leif spürte seinen Atem, als er sprach.
»Ich habe nie
wieder einem Menschen so vertraut, wie ich dir vertraut habe, damals«, raunte
Sam leise.
Leif schloss die
Augen. Sein Herz schlug zum Zerspringen. Es tat weh und dennoch sehnte er sich
nach mehr. Samuels Finger wanderten höher, strichen über seinen Kiefer. Kleine
Splitter schienen bei dieser Berührung durch seine Nervenbahnen zu tanzen und kratzten
an den Innenseiten seiner Handgelenke. Ein Laut entkam ihm, gequält und
bedürftig.
Als wollte Sam
ihn verspotten, verschwand die Berührung seiner Finger.
Leif hob die
Lider und blinzelte verwirrt. Samuel hockte nach wie vor auf den Bohlen des
Steges, in der einen Hand das Messer, die andere auf halbem Weg zum Eimer mit
den unausgenommenen Fischen.
Leifs nächster
Atemzug schmerzte in seiner Lunge. Schmerzte wie die Erkenntnis, dass er sich
die letzten Augenblicke zusammenfantasiert haben musste. Er meinte sogar, noch
kühle Feuchte auf seiner Haut zu spüren, dort, wo Sam ihn mit nassen Fingern
gestreift hatte. Wie erbärmlich.
Sam wich seinem
Blick aus und beschäftigte sich wieder mit den verbliebenen Forellen. Mit einem
energischen Schnitt durchtrennte er die Bauchdecke des nächsten Fisches, nur um
sogleich einen deftigen Fluch auszustoßen. Leuchtend grüne Flüssigkeit tropfte
aus dem Bauch des Tieres, weil er die Gallenblase angestochen hatte.
Ein kräftiger
Tritt brachte die schmächtige Birke zum Erzittern.
»Scheiße!«
Ein weiterer
Tritt folgte, Blätter und kleine Zweige regneten herab.
»Verdammte
Scheiße!«, fluchte Leif und biss die Zähne zusammen. Sein Fuß tat weh, doch das
war ihm egal. Sein letztes bisschen Verstand gebot ihm, dass es keine gute Idee
war, den Baum mit seinen Fäusten zu traktieren. Obwohl der Gedanke an
aufgesprungene Fingerknöchel einen seltsamen Reiz auf ihn ausübte. Sie wären
ein akzeptabler Preis, als Ausgleich, Sam nicht die Fresse polieren zu können.
Gott, dabei wollte er es so sehr. Dieser miese Wichser. Unehrliches Arschloch!
Er hasste den Kerl. Hasste ihn!
Viel zu sehr.
Hasste die
Gefühle und Träume, die Samuel in seinen Körper und – noch schlimmer – in
seinen Kopf gepflanzt hatte. Leif fühlte sich erbärmlich. Natürlich hatte Sam
ihn mit seiner dummen Vermutung auflaufen lassen. Eine Vermutung, die Leif
nicht mal begründen konnte, noch genauer umschreiben.
Entweder war Sam
ein Schnüffler ohnegleichen, der heimlich hinter Leuten herspionierte, oder... Ja, was oder?, dachte Leif
zynisch. Konnte Samuel vielleicht Gedankenlesen? Lächerlich! Superkräfte?
Sicher, deswegen lebte er auch hier draußen und jede Nacht flog er mit wehendem
Umhang und gereckter Faust nach Oslo, nein, warum nicht gleich nach New York,
um Unschuldige vor bösen Verbrechern zu schützen. Oder er rettete die Welt.
Erst vorgestern wieder. Sicher.
Leif schnaubte.
Es war wohl eher er selbst, der sich komisch benahm. Was war das eben gewesen?
Totaler Realitäts- und Kontrollverlust. Als würde er im wachen Zustand träumen:
Sam, seine unvermittelte Nähe, und wenn Leif bereit war, sich fallen zu lassen
und der Sehnsucht in sich nachzugeben, war Sam verschwunden.
Gottverdammt, er
war so armselig! Nicht nur, dass er am helllichten Tag träumte, nein, auch noch
der Inhalt seiner Fantasie war einfach nur hanebüchen. Samuel hatte ihm nicht
vertraut. Nie.
Sommer 2004
3. Oktober 2003
Heute Nacht haben
sie Max geholt. Max. Ausgerechnet. Dabei... Ich hätte es sein sollen. Ich. Es
ist schon lange überfällig, ich weiß es. Und nun haben sie ihn geholt, weil er
mir den Rücken freigehalten hat. Ich glaube nicht, dass er es schafft. Er wird
der Dritte sein, dieses Halbjahr.
»Was machst du
da?«
Samuels Stimme
in seinem Rücken ließ Leif zusammenfahren und das schmale schwarze Buch in seinen
Händen zuschlagen. Er hatte noch Zeit, das Adrenalin durch seinen Körper
rauschen zu fühlen, bevor er sich langsam umdrehte. Es hatte keinen Zweck zu
leugnen, also ging er in die Offensive.
»Max – ist das
der Max, mit dem du dir ein Zimmer auf dem Internat teilst?«
Sam sah Leif
wütend an, die Hände an den Seiten zu Fäusten geballt.
»Was fällt dir
ein, in meinen Sachen zu schnüffeln!«, fauchte er aufgebracht.
Sam sah
bedrohlich aus, wie er mit zerzaustem Haar und zu Schlitzen verengten Augen
einen Schritt auf Leif zumachte. Obwohl er am liebsten zurückgewichen wäre,
blieb Leif stehen und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.
»Das Buch lag
offen auf deinem Tisch und... ich war neugierig.« Leif stockte, dann fuhr er
versöhnlicher fort: »Sorry, ich wollte nicht... Ich habe nicht geschnüffelt.«
Samuel knurrte
einen Fluch als Antwort, dann wandte er sich brüsk ab und begann, im Zimmer
verstreute Kleidungsstücke einzusammeln.
»Was ist mit Max
passiert?«
Obwohl Leif
wusste, dass es wahrscheinlich besser wäre, wenn er Sam in Ruhe lassen würde,
ging ihm der kurze Tagebucheintrag, den er gesehen hatte, nicht aus dem Kopf.
In den Zeilen hatte etwas Unheimliches mitgeschwungen.
Sam hielt inne,
ohne sich zu Leif umzudrehen. Seine Fäuste schlossen sich fest um das
schmutzige T-Shirt, das er vom Boden geklaubt hatte.
»Max hat das
Internat verlassen. Geht jetzt auf eine andere Schule... irgendwo in England.«
Misstrauisch sah
Leif zu, wie Sam nun alle Klamotten in seine Arme raffte, um sie ins Bad zur
Waschmaschine zu bringen.
»Was hast du
damit gemeint, dass sie Max geholt haben?«
Samuel blieb
abrupt im Türrahmen seines Zimmers stehen. Dann drehte er sich um. Langsam.
Sein Blick begegnete Leifs und ihm rann ein Schauer den Rücken hinab. Die Wut
in Samuels Gesicht war einer emotionslosen Mauer gewichen.
»Vergiss
einfach, was du gelesen hast. Es ist nicht mehr wichtig.«
~~~
»Komm mal wieder
runter, Mann!«, brummte Steffen gereizt.
Er hatte sich
mit verschränkten Armen vor Leif aufgebaut, die Füße in den Boden gestemmt. Auf
seine Art wirkte er solider als die sie umgebenden Bäume – eher wie ein Fels.
Als sich Leif an der Birke ausgetobt hatte, war Steffen aus dem Laborschuppen
gekommen und versuchte nun, ihn zur Vernunft zu bringen. Leif atmete schwer,
abflauender Zorn und Schmerz wogten durch seinen Körper. Er wusste, dass er
sich lächerlich benahm. Und genau dieses Wissen schickte eine neue Welle Wut
durch ihn hindurch, Wut auf sich selbst, befeuert durch das Gefühl zu versagen.
»Weißt du, es
gibt Leute, die arbeiten hier. Wir müssen verdammt noch mal den nächsten
Aufstieg zum See vorbereiten! Und du Idiot hast nichts Besseres zu tun, als
deine Launen auszuleben.«
Leif blickte
beschämt zu Boden. Sein Brustkorb hob und senkte sich in schnellen Atemzügen,
Schweiß kitzelte seinen Nacken.
Steffen trat an
ihn heran und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Warm und schwer fühlte sie
sich an.
»Ich weiß«,
seufzte Leif.
»Dann ist ja
gut«, grinste Steffen und gab ihm einen Schubs. »Lauf eine Stunde durch die
Gegend und beruhig dich. Wenn du dich nicht mehr wie eine Diva benimmst, darfst
du wieder ins Labor. Saftsack!«
Leif feixte. Er
spürte den abklingenden Zorn noch unter der Oberfläche, wie man die Reste eines
üblen Katers fühlte, der sich penetrant schnurrend an den Innenseiten des
Schädelknochens rieb. Aber es hatte gutgetan, den Kopf gewaschen zu bekommen.
Er wollte sich gerade von Steffen abwenden, als dieser ihn mit seinen nächsten
Worten aufhielt: »Ach ja, und wasch dir das Gesicht! Ich frag mich echt, wo du
dich rumgetrieben hast. Sieht fies aus.«
Leif stutzte.
»Was meinst du?«
»Den Schmaddel
an deinem Kinn«, sagte Steffen angeekelt.
In einer
unbewussten Geste fuhr Leifs Hand nach oben, seine Fingerspitzen strichen über
die Stelle, an der er geglaubt hatte, Samuels Berührung gespürt zu haben.
»Genau da,
Mann«, bestätigte Steffen und ging in Richtung Labor.
Leif atmete tief
ein und zählte seine Herzschläge: eins, zwei, drei, vier. Dann begriff er, was
dort unten am Steg wirklich geschehen war. Die Erkenntnis traf ihn, als hätte
man ihm einen Vorschlaghammer in den Brustkorb geschlagen. Seine Hände ballten
sich zu Fäusten. Sie zitterten. Er drehte sich auf dem Absatz um und
marschierte zurück zum See, dorthin, wo er Samuel vermutete. Er wurde immer
schneller, bis er schließlich rannte.
Sam war nicht
mehr am Steg, doch Leif konnte durch die Büsche und kleinen Bäume, die den Hang
zur Hütte hin bewuchsen, einen Zipfel des grünen Militärparkas ausmachen, als
Sam sich von ihm entfernte. Er sprintete ihm hinterher. Auf dem Zuweg zur Hütte
hatte er ihn eingeholt. Leif hielt sich nicht damit auf ihn anzusprechen,
sondern riss ihn an der Schulter herum.
Ein stechender
Schmerz schoss durch seine Hand und seinen Arm hinauf, als seine Faust auf
Samuels Kinn traf. Sam taumelte mit einem Schmerzenslaut zurück.
Doch Leif ließ
ihn nicht entkommen. Er schlug noch einmal zu, erwischte aber diesmal nur
Samuels Unterarm, denn dieser hatte sich schnell wieder gefangen und seinen
Schlag abgeblockt.
»Spinnst du?!
Was soll...«, fragte Sam aufgebracht, doch Leif hörte ihn gar nicht.
»Vertrauen?! Du
Wichser sprichst von Vertrauen?«, schrie Leif und trat nach Sam. »Du hast keine Ahnung,
was Vertrauen ist!«
Es machte ihn
wahnsinnig, dass Sam nicht zurückschlug, sondern seine Schläge und Tritte nur
abblockte oder ihnen auswich. Leif warf sich auf ihn, riss ihn durch schiere
Gewalt um. Sie krachten auf den Boden, Steine bohrten sich in Leifs Knie, er
holte aus, wollte Sam schlagen, wieder und wieder! Samuel grunzte und
versuchte, Leif von sich abzuhalten.
»Hast keine
Ahnung von Freundschaft!«, fauchte Leif ihn an, die Hände in den grünen Parka
gekrallt. Keine Ahnung von Liebe. Liebe, die nur noch wehtut, einen von innen in
Fetzen reißt. Hast keine Ahnung...
Mit einem Ruck
schüttelte Samuel ihn ab und warf sich nun seinerseits auf Leif. Dieser schlug
blind zu. Er boxte Sam in die Seite, konnte aber keinen größeren Schaden
anrichten, weil er nicht wirklich ausholen konnte, begraben unter dessen
Körper. Ein Schlag gegen sein Jochbein ließ Leif Sterne sehen und befeuerte
seinen Jähzorn. Er zog die Lippe über die Schneidezähne, wand sich unter Sam,
schlug und trat. Wie zwei Kampfhunde ineinander verkeilt rollten sie über den
Boden, schlugen aufeinander ein. Stumm und verbissen.
Irgendwann
gewann Samuel die Oberhand, kauerte auf Leif, dessen Handgelenke er brutal auf
den Boden presste. Blut lief ihm aus dem Mundwinkel.
»Hör auf,
verdammt!«, herrschte er Leif an.
Dessen Gegenwehr
kam zum Erliegen. Er war fix und fertig, alles tat ihm weh und er zitterte vom
Adrenalin, das durch seinen Körper rauschte. Ihm fehlte die Luft zum Sprechen,
also sah er Sam nur wütend an.
Auch der rang
sichtlich nach Atem. »Scheiße!«, japste er. »Reicht es jetzt?«
Als Leif nicht
antwortete, ruckte Sam Leifs Handgelenke gen Boden. Steine schürften darüber.
Knurrend wiederholte Samuel seine Frage: »Ob es jetzt reicht!?«
Leif hasste,
dass Sam die Oberhand gewonnen hatte. Er zögerte einen Moment, dann bockte er
mit aller Kraft, die ihm noch geblieben war. Sam verlor das Gleichgewicht und
rutschte zur Seite. Leif zog das Knie hoch und ein erstickter Laut bestätigte
ihm, dass er gut getroffen hatte.
Sam lag auf der
Seite, die Beine angezogen und die Hände in den Schritt gepresst. Sein Gesicht
war verzogen, seine Augen tränten. Hastig kam Leif auf die Füße. Stand da, die
Hände auf die Oberschenkel gestützt und blickte um Atem ringend auf seinen
ehemaligen Freund hinab.
»Bastard!«,
würgte Sam hervor.
»Gleichfalls«,
knurrte Leif. Dann drehte er sich um und stapfte unter Schmerzen in Richtung
Labor.
»Was ist denn
mit dir passiert?«, fragte Paul geschockt, als er Leifs lädiertes Gesicht
bemerkte.
Steffen sah von
seinem Laptop auf. »Ach du Scheiße!«
Leif zuckte
abwehrend mit den Schultern, öffnete den winzigen gasbetriebenen Kühlschrank,
in dem sie einige ihrer Proben lagerten und griff sich ein Kühlaggregat aus dem
Eisfach. Er stöhnte leise, als er es vorsichtig an sein Jochbein hielt.
»Du hast dich
jetzt nicht mit dem Freak geprügelt, oder?«, schüttelte Paul den Kopf.
»Hier, pack das
um das Kühlding, sonst schadet es mehr, als dass es hilft«, sagte Steffen und
hielt Leif ein nicht gerade sauberes Geschirrtuch hin. Wortlos wickelte Leif es
um das hellblaue Kühlaggregat, dann ließ er sich mit einem Schnaufen auf den
Stuhl an seinem Arbeitsplatz sinken.
Sein Schädel
brummte, seine Fingerknöchel waren aufgeschürft und das schmerzhafte Pochen an
verschiedenen Stellen seines Oberkörpers verriet ihm, dass er einige Prellungen
davongetragen hatte.
»Der Arsch
spinnt ja wohl! Was hat er getan?«, ereiferte sich Paul weiter.
Leif schloss die
Augen und bereute, ins Labor gegangen zu sein. Aber da er die Prellung auf
seinem Jochbein kühlen wollte, war das die einzige Möglichkeit. Außer er
steckte seinen Kopf in den eisigen See und darauf konnte er gut verzichten.
»Könntest du
endlich mal was sagen und aufhören, mich zu ignorieren, Arnsberg?«, fauchte
Paul.
Steffen
kicherte. Ohne die Augen zu öffnen, antwortete Leif trocken: »Ich bin gegen
einen Baum gelaufen.«
Paul fluchte,
während Steffen lauthals auflachte.
»Das ist nicht
witzig! Sieh ihn dir doch mal an, den Idioten!«, fuhr Paul Steffen an.
Leif öffnete
träge die Lider. Er hatte den Eindruck, dass sein linkes Auge von unten her
zuschwoll. Wunderbar. Langsam ließ der Rausch des Adrenalins nach, genauso wie
die zornige Befriedigung, die er gespürt hatte, bei jedem Schlag, den er Samuel
verpasst hatte. Der Kampf verschwamm in seiner Erinnerung in ein einziges
Gewühl aus Schlägen, Tritten und unbändiger Wut. Doch das letzte Bild stand ihm
klar vor Augen: Sam, am Boden liegend, zusammengekrümmt.
Das schlechte
Gewissen zwickte Leif. Es war unfair gewesen, ihm zwischen die Beine zu treten.
Mit einem Mal schmeckte sein Sieg schal.
»Paul, lass es
gut sein«, sagte Leif. Mit einer ruppigen Handbewegung erstickte er den
aufkommenden Protest. »Ich hab mich mit Sam geprügelt. Ich hab was einstecken
müssen, er auch. Das Thema ist durch.«
Wenn er sich
selbst gegenüber nur genauso gut lügen könnte. Nein, er hatte vielmehr das
Gefühl, dass etwas gerade erst begonnen hatte. Etwas, das ihm noch weniger
gefiel als die angespannte Ratlosigkeit, von seiner Seite durchsetzt mit viel
zu lebendigen Erinnerungen und Träumen, die sie bisher begleitet hatte.
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