Dies ist ein kleiner Outtake aus der „Staub &
Stolz“ – Welt. Wer "Staub & Stolz" noch nicht gelesen hat, sollte
diesen Text nicht lesen, denn er enthält Spoiler.
Schon lange geht mir diese Szene im Kopf herum, und
am Ende konnte ich mich nicht bezähmen, sie doch noch in Worte zu fassen. Bitte
beachtet, dass es sich um einen Rohtext handelt, der weder Lektorat noch Korrektorat
durchlaufen hat.
Ich wünsche Euch viel Spaß beim Lesen!
Dewi
***
Unziemlich
Der scharfe Geruch stach in seine Nase und brachte
seine Augen zum Tränen. Dennoch fuhr Talog fort, Wurzeln klein zu schneiden und
mit der flachen Seite des Messers zu zerdrücken, so dass noch mehr von ihrem
dunklen Saft austrat. Er würde jeden Tropfen davon auffangen und in das bereit
stehende Gefäß füllen. Innerlich beglückwünschte er sich dazu, dem Steinmetz
die flache Steinplatte, auf der er saftende Kräuter verarbeite, aus dem Kreuz
geleiert zu haben. Sie war dem Mann gesprungen, so dass Talog die kleinere
Hälfte günstig hatte erstehen können. Seit er die Kräuter hierauf schnitt,
hatte er weniger Verluste, als wenn er die Pflanzen auf saugenden Holzbrettern
zerkleinerte. Zwar musste er nun häufiger seine Messer schärfen, aber das war
es ihm wert.
Er begann, eine Melodie zu summen, gab den Versuch
aber schnell wieder auf, weil er zu tief eingeatmet hatte. Hustend wandte er
den Kopf und presste die Lippen auf die hochgezogene Schulter. Es fehlte noch,
dass er die Zutaten des Kräuteröles, welches er gerade zubreitete, von seinem
Arbeitstisch hustete oder sie mit seinem Speichel verschmutzte. Er wusste
nicht, welche Eigenschaft des Speichels es war, doch gelangte er in manche
seiner Zubereitungen, verdarben diese schneller. Auf der anderen Seite war Talog
davon überzeugt, dass auch Speichel heilenden Kräfte hatte – warum sollte sonst
ein Hund seine Wunden lecken? Selbst Menschen verspürten den Drang, einen
blutenden Finger in den Mund zu stecken. Er furchte die Brauen, während er über
dieses Phänomen nachdachte.
Nach und nach verarbeitete er die Pflanzen, die er
im Morgengrauen gesammelt hatte. In seinem Arbeitsraum wurde es stetig heller.
Er blinzelte gegen das Licht und schätzte, dass es kurz vor Mittag sein musste.
Sein Magen grollte zustimmend. Doch bevor er die Wurzeln und ihren Saft nicht
in das gefilterte Öl gegeben hatte, konnte er seinen Arbeitsplatz nicht
verlassen, sonst würden die wertvollen Bestandteile der Pflanzen ihre Wirkkraft
verlieren. Also verlagerte es das Gewicht von einem Fuß auf den anderen und
beugte sich tiefer über den Stehtisch, den er noch von seinem Lehrmeister
übernommen hatte.
Ein energisches Klopfen an der Tür ließ ihn
aufblicken. Wahrscheinlich hatte sich irgendein Tölpel von Knecht beim Misten
die Forke in den Fuß gerammt und nun schickte man nach Talog, damit der den
Schaden richtete. Gereizt hielt er in seinem Tun inne. Er bekam keine
Gelegenheit mehr, den Besucher hereinzubitten – oder ihn abzuwimmeln.
Die Tür schwang auf und die Prinzessin der
Nordländer, Noirin, trat herein. Sie wirkte erhitzt, einige Strähnen ihres
blonden Haares hatten sich aus den geflochtenen schmalen Zöpfen gelöst, mit dem
sie den Hauptteil ihres Haares aus dem Gesicht hielt.
Sofort deutete Talog eine kurze Verbeugung an. Nachdem
er sich wieder aufgerichtet hatte, straffte er sich. Zum einen war dies mit
ihrem Standesunterschied zu begründen, zum anderen kannte er die Prinzessin gut
genug, um zu wissen, dass sie nicht all zu leicht aus der Ruhe zu bringen war.
Etwas musste geschehen sein. Wohlmöglich wurde er erneut zu Enlinn, der
kränklichen Gemahlin des Königs, gerufen. Sie hatte vor einigen Monaten ihr
erstes Kind verloren. Noirin pflegte ihre Schwägerin mit einer Beharrlichkeit,
die an Sturheit grenzte und flößte der jungen Frau jeden Schluck Suppe
persönlich ein. Nein, schloss Talog, wäre es Enlinn gewesen, zu der man ihn
riefe, hätte Noirin einen Boten geschickt, denn sie wäre ihrer Schwägerin nicht
von der Seite gewichen. Also blieb nur der junge König. Talog spürte, wie sein
Magen absackte. Wohlmöglich ein erneutes Attentat. Seitdem der Südländer Forlán
seinen Dienst als Leibwächter quittiert hatte, erwartete ein Teil von Talog
jeden Tag die Nachricht, dass die Widersacher des Königs Erfolg gehabt hatten.
Es waren gefährliche Zeiten.
„Ich muss mit dir sprechen“, unterbrach Noirin
Talogs kreisende Gedanken. Als sie den alarmierten Gesichtsausdruck des Baders
bemerkte, fügte sie knapp hinzu: „Es geht nicht um einen Krankheitsfall.“
Talog schnaufte und musterte die Prinzessin
verholen. Sie war wie immer schlicht gewandet und hätte auch für eine Dame des
niederen Adels durchgehen können – wäre ihre Haltung nicht gewesen, die so gar
nichts mit der unterwürfigen Scheu nordländischer Adelsfrauen gemein hatte.
Talog musste ein Grinsen unterdrücken, als er daran dachte, wie oft schon ihre
Finger vom Zubreiten der Heilkräuter verfärbt gewesen waren – ein undenkbarer
Zustand für eine Frau von Stand.
Die Schwester des Königs war nicht nur stolz, sondern
auch wissbegierig. Schon als junges Mädchen hatte sie Talogs Lehrmeister und
später ihm selbst Löcher in den Bauch gefragt, um alles über die Heilkünste zu
erfahren. Inzwischen war sie mindestens so bewandert wie er, wenn es um die
Wirkungen der Pflanzen und ihre Anwendung ging. Ja, Talog war überzeugt davon,
dass Noirin einem Mann mit einer Kräuteressenz das Leben retten konnte – oder
ihn zu einem qualvollen Gifttod verurteilen, wenn sie es für richtig hielt.
Jetzt aber hielt ihre Rechte die Falten des
bodenlangen Kleides fest umklammert. Ihm fiel auf, dass sie Schatten unter den
Augen hatte, ihre Augäpfel waren gerötet. Er hatte sie in den letzten Monaten
mehrmals am Rande der Erschöpfung gesehen, weil ihr königlicher Dickschädel
nicht einsehen wollte, dass auch sie Kraft und Schlaf brauchte, wenn sie sich
um ihre Schwägerin kümmern wollte. Doch heute schien sie vor Anspannung zu
vibrieren.
Das Messer klapperte leise, als er es auf die
Steinplatte ablegte. Die Stille zwischen ihnen dehnte sich aus, weil Noirin,
anstatt ihr Anliegen vorzubringen, die Lippen fest aufeinander presste. Hätte Talog
sich einer anderen Person gegenüber gesehen, hätte er nun ungeduldig die Stirn
gerunzelt und sein Gegenüber aufgefordert, endlich mit der Sprache herauszurücken.
Doch der tief verankerte Respekt der Prinzessin gegenüber ließ ihn schweigen.
Es war egal, dass er sie hatte aufwachsen sehen und
dass er ihr als Halbwüchsiger den Rotz unter der Nase weggewischt hatte, wenn
sein Lehrmeister das kleine Mädchen aus seinem Arbeitsraum vertrieb, Prinzessin
hin oder her. Auch spielte es keine Rolle, dass er sich noch daran erinnerte, wie
sie ihm, einem Welpen gleich, in einer Phase ihres Heranwachsens nachgelaufen
war. Die Zeit der anhänglichen Blicke war seit Jahren vorbei und Talog war froh
darum. Es ziemte sich nicht, dass sie ihm solche Blicke schenkte. Noch weniger
hatte es sich geziemt, dass er sie bemerkt hatte.
Aus dem wissbegierigen Mädchen war eine aufrechte Frau
geworden. Eine Frau, die im falschen Körper geboren wurde, denn in ihr hauste
der Geist eines Mannes. Sie war ehrgeizig und berechnend. Obwohl ihr
selbstbewusstes Auftreten für viel Gerede unter den Adligen sorgte,
unterschätzten nur Narren die Schwester des Königs. Viele dieser Narren hatten
die letzten Jahre nicht überlebt. Seit ihr Bruder Iain an der Macht war, gab es
eine heimliche Doppelregentschaft, denn Noirin zog mehr Strippen in der
nordischen Politik als je zuvor. Ihre Tätigkeit als Heilerin war in den
Hintergrund getreten. Talog unterdrückte das leise Gefühl von Bedauern, das ihn
beschlich, als er daran dachte, wie lange es her war, dass sie sich über
medizinische Belange ausgetauscht hatten.
„Möchtet Ihr Euch setzen“, durchbrach er schließlich
das Schweigen und deutete auf einen schlichten Schemel, der nahe am Fenster
stand.
„Nein“, kam es einsilbig zurück.
Obwohl Noirin behauptet hatte, ihr Anliegen beträfe
keinen Krankheitsfall, begann Talog, sich Sorgen zu machen. Ein vertrauter
Zustand, sorgte er sich doch zu oft um ihr Wohlergehen.
Noirin straffte sich sichtlich, ihre Hand gab die
Falten ihres Kleides frei, als müsse sie sich dazu zwingen.
„Ich habe eine Entscheidung getroffen“, sagte sie fest.
Es war die Tonlage, die sie ihren Gegnern gegenüber
nutzte. Leise, deutlich und von der Klarheit gesprungenen Glases. Man konnte
sich schneiden an dieser Stimme, wenn man nicht aufpasste.
Talog schwieg und sah sie abwartend an.
„Ich werde mich vermählen“, stieß sie einer
Kampfansage gleich aus.
Das Erstaunen kroch langsam durch seinen Körper,
bis es im Hirn angelangt war. Unterwegs wurde es von der Verwirrung überholt,
die etwas auf ihrem Rücken trug, das bei der Passage durch seinen Magen
zwickte. Talog konnte diesem Etwas keinen Namen geben, denn es existierte nicht
in seiner Welt.
Seit ihrem siebzehnten Geburtstag wehrte sich
Noirin mit Händen und Füßen dagegen, vermählt zu werden. Mit dem kalten
Verstand einer Giftmischerin hatte sie sogar ihren Vater dazu gebracht, von
jeder Verbindung gegen ihren Willen abzusehen. Nun zählte sie 25 Sommer – wäre
sie nicht die Prinzessin des Nordreiches gewesen, hätte kaum noch ein Mann um
ihre Hand angehalten. Von einer Frau in diesem Alter waren nicht genügend
Kinder zu erwarten.
Auch, wenn er ihr dieses Schicksal nicht gegönnt
hatte, war Talog inzwischen davon überzeugt gewesen, dass sie als unvermählte
Jungfer enden würde. Denn niemals würde sich die Prinzessin der Nordländer
einem Ehemann beugen, der über die Verbindung mit ihr nach Macht strebte. Ein
freier Geist wie der ihre würde verkümmern, wenn man ihn an Heim, Herd und eine
Schar Kinder kettete.
Es gab nur zwei Konstellationen, die er sich
vorstellen konnte, um Noirin dazu zu bringen, den Antrag eines potenziellen
Gemahls anzunehmen. Es musste schwerwiegende politische Gründe geben,
vielleicht ein Abkommen mit einem mächtigen Bündnispartner, und sie musste
diese Gründe als solche empfinden. Ja, das musste es sein. Denn der zweite
Grund war undenkbar. Noirin hatte keine Gefühle für einen der Adligen. Und
wenn, ließe sie sich dennoch nicht davon in eine Ehe leiten, die ihr über kurz
oder lang die Flügel stutzen würde. Talog wurde unwohl beim letzten Gedanken.
„Ich...“, begann er stockend. „Das freut mich für
Euch“, sagte er flach und verfluchte sich dafür, dass er nicht dazu in der Lage
war, mehr Enthusiasmus aufzubringen. Doch wer sah schon gerne zu, wie ein
Greifvogel in einen Käfig gesteckt wurde, in dem er nicht einmal seine
Schwingen ausbreiten konnte?
Noirin holte Atem. „Ich habe dich zum Gemahl
gewählt“, sagte sie, das Kinn erhoben. Stolz und unbeugsam, das Gesicht glatt
und abweisend wie die Mauern der Feste Neer.
Talogs Finger klammerten sich fest um die Kante des
Arbeitstisches. Seine Knöchel traten weiß hervor. Das Holz war unnachgiebig
unter seinen Fingerkuppen. Schmerz zog von ihnen aus seinen Arm empor. Ihm war
schwindlig, es rauschte in seinen Ohren. Er konnte jeden seiner Herzschläge
hören, dumpf und zu schnell. Viel zu schnell. Warum schlug sein Herz wie das
eines Hasen auf der Flucht? Flucht ... ja. Flucht. Wovor?
Er schluckte trocken. Starrte die Frau vor sich an
– und sah sie doch nicht. Seine Welt stürzte um ihn ein, vollkommen lautlos und
unbewegt. Aus unten wurde oben. Sein Innerstes wollte sich mit ins Chaos werfen
und sich nach Außen wenden. Was nicht zusammen gehörte, nicht sein konnte –
durfte! –, sollte sich verbinden. Das war nicht möglich. Vollkommen unmöglich!
„Unmöglich“, sprach er heiser den letzten Gedanken
aus, der sich einem Kreisel gleich unermüdlich in seinem Kopf drehte. „Das ...
ich ...“, stotterte er und blinzelte träge. Es konnte die Finger nicht von der
Tischplatte lösen. Er würde stürzen. Ihr vor die Füße fallen. Sich weiter
blamieren. Es musste ein Scherz sein. Ein geschmackloser Scherz. Ja. Unter der
Verwirrung breitete sich Schmerz aus. Ganz leise.
Talog versuchte, seinen inneren Aufruhr zu bändigen
und aus ihrem unbewegten Gesicht zu lesen. Nein, sie scherzte nicht. Nicht nur
ihre kühle Mimik legte davon Zeugnis ab. Auch eine leise Stimme in seinem
Inneren, diese Stimme, der er so lange das Maul gestopft hatte, bis sie
endgültig verstummt war, zumindest tagsüber, diese Stimme flüsterte leise, dass
Noirin niemals über dieses Thema scherzen würde. Es war die Stimme, die sich an
jeden ihrer Blicke erinnerte. An jede Berührung ihrer Hände, und sei sie noch
so zufällig. Es war die Stimme, die vorgab, die Frau vor ihm zu kennen. Besser,
als jeder andere.
Für einige Herzschläge sah sie ihm noch ins Gesicht
und er hatte keine Ahnung, was in ihr vorging. Kurz kam es ihm so vor, als sähe
er Schmerz in ihren Augen, aber die Maske der Prinzessin saß zu gut.
Etwas in ihm wand sich unter dem kalten Blick, den
Noirin sonst nur für klatschsüchtige Adelsweiber und ihre gockelhaften Gemahle
übrig hatte. Seit wann sah sie ihn auf der anderen Seite? Er war immer loyal
gewesen. Er war es sogar jetzt noch, da sie ihn in tiefe Verwirrung stürzte.
Und er würde es bleiben. Egal, welch absurder Plan hinter dieser Ankündigung
steckte.
Bevor Talog sich regen oder einen vernünftigen Satz
heraus bringen konnte, drehte Noirin sich um, öffnete die Tür und eilte aus dem
Zimmer. Sie zog nicht einmal die Tür hinter sich zu, so dass er ihre eiligen
Schritte noch hören konnte, bis sie in den Gang abbog, der zum königlichen
Trakt Farstads führte.
Die Prinzessin eilte nie, außer sie wurde zu einem
Notfall gerufen. Aber jetzt rannte sie fast. Der Schwindel in Talogs Schädel
nahm zu. Noirin floh. Vor ihm. Vor seiner Reaktion. Vielleicht auch vor ihrem
eigenen Mut.
Sie meinte es ernst.
Bei allen Dämonen der Unterwelt! Der König würde
ihn umbringen, wenn er davon erfuhr. Und das zurecht.
***
Liebe Dewi,
AntwortenLöschenauch an dieser Stelle noch einmal "Danke" für ein ganz wunderbares, süchtig machendes Stückchen "Staub & Stolz", Du hast eine magische Welt erschaffen.
Anita