Dies ist ein kleiner Outtake aus der „Staub & Stolz“ – Welt. Wer "Staub & Stolz" noch nicht gelesen hat, sollte diesen Text nicht lesen, denn er enthält Spoiler.
Bitte beachtet, dass es sich um einen Rohtext
handelt, der weder Lektorat noch Korrektorat durchlaufen hat.
Ich wünsche Euch viel Spaß beim Lesen!
Dewi
Das Nagen im Inneren
„Und wie der Fettsack gerannt ist! Ich hätte nicht
gedacht, dass Gissur so schnell sein kann“, kicherte Edor verholen.
„Ein ausgewachsener Bär auf den Fersen hat ihm wohl
Flügel verliehen“, grinste Iain böse.
„Du solltest das Fell im Prunksaal der Sommerresidenz
aufhängen, damit der alte Hurensohn stets an sein schmähliches Versagen
erinnert wird“, raunte Edor und wies mit dem Daumen über seine Schulter in
Richtung des Karrens, der die königlichen Habseligkeiten über das Land trug. In
einer der getürmten Truhen befand sich auch das vor wenigen Wochen gegerbte
Fell des stattlichen Bären, der den Herren des adligen Hauses Görmungandur in
die Flucht geschlagen hatte. Es waren Iain und seine Jagdhelfer mit ihren
Hunden gewesen, die den Bären schließlich zur Strecke gebracht hatten.
„Du bist ein grausamer Mann, Edor“, feixte der Prinz.
Edor zuckte unschuldig mit den Schultern. „Ich
vertrete nur die Interessen meines zukünftigen Königs.“
Das Sonnenlicht des Spätherbstes schimmerte golden.
Es ließ die Iris in Iains Augen grün aufleuchten, während er lachend den Kopf
abwandte. Ein wohl vertrautes Ziehen breitete sich in Edors Innerem aus. Das
Lachen seines Freundes war ansteckend. Denn genau dies war Iain in diesem
Moment: sein Freund. Nicht der Thronfolger, nicht der Kriegerprinz. Sondern
schlicht sein Cousin zweiten Grades. Vertrauter seit Kindesbeinen.
Gelegentlich berührten sich ihre Knie, wenn die
Pferde auf dem Weg dicht nebeneinander gehen mussten. Bei mancher dieser
Gelegenheiten warf Edor dem Prinzen einen Blick zu, der versteckte Provokation
und Verheißung gleichermaßen war. Und obwohl Iain seine Gesichtszüge
meisterlich beherrschte, wusste Edor, dass er dem Anderen so manches Bild ins
Hirn pflanzte.
Er genoss den Ritt von der Sommerresidenz zur Feste
Neer. Das Wetter war freundlich und warm, Felder und Wiesen hatten reiche Ernte
getragen. Schon bald nach ihrer Ankunft auf der Feste würde er nach Hause zum
Sitz seines Vaters reiten müssen, doch noch konnte er den Gedanken daran beiseite
schieben. Lentos düstere Burg war weit weg, genauso wie Edors Verpflichtungen
seiner Familie gegenüber. Diese Tage gehörten ihm und Iain, ganz egal, ob sie
von adligen Günstlingen und einer Vielzahl an Bediensteten umgeben waren.
Sie würden Gelegenheiten finden. Es gehörte eine
dummdreiste Portion Mut dazu, unter den Augen des Hofstaates, ja sogar seines
eigenen Vaters das Spiel mit Iain zu spielen, und doch konnte sich Edor nichts
besseres vorstellen. Kräftige Griffe, die sein Bemühen um Stille untergruben.
Heiße Haut, die ihn verbrannte. Atem, der das Inferno schürte. Ungezügelte
Kraft, der er sich entgegen werfen konnte.
Was kurz vor dem Mannesalter mit verschämten Berührungen
begonnen hatte, hatte sich mit den Jahren zu einer Huldigung der unbarmherzigen
Gier ausgewachsen, die sie beide Antrieb. Edor wusste, dass Iain sich andere
Männer hielt. Es schmeckte ihm nicht sonderlich, doch wurde er stets von Iains
kühler Zweckmäßigkeit beruhigt. Der Prinz besorgte sich Gespielen, die ihm
willig den Arsch anboten und dabei so zitterten, dass er keinen Verrat fürchten
musste. Manche der Männer waren gestandene Familienväter, andere gerade dem
Knabenalter entwachsen. So wie Melnir, der derzeit die Laken des königlichen
Bettes wärmte – wenn Iain nichts besseres fand.
Edor runzelte ärgerlich die Stirn, als ihm die
Bemerkung einfiel, die Nistingúr, einer der Vertrauten seines Vaters, vor
kurzem über den Thronfolger hatte fallen lassen. In der letzten Zeit hatten
Gerüchte die Runde gemacht. Hässliche Gerüchte. Tuscheleien, die viel zu nah an
der Wahrheit lagen.
Edors eigener Ruf war tadellos, denn er hatte schon
vor über zwei Jahren geheiratet und Katlá hatte sein Kind ausgetragen. Es war
nur eine Tochter, doch es war gut möglich, dass der Leib seines Weib sich schon
wieder rundete. Immerhin war er bei seinem letzten Aufenthalt auf der Burg
seines Vaters nicht untätig gewesen. Nein, er hatte alles dafür getan, seinem alten
Herren keinen weiteren Grund zu geben, an ihm zu zweifeln.
Doch Iain brachte sich in Gefahr. Er zeigte in fast
allen Dingen großartige Anlagen, die ihn befähigten, seinen kranken Vater, den
König, würdig zu vertreten. Er herrschte mit einer strengen Grausamkeit, an der
Edor sich berauschte. Der Adlige liebte es zu beobachten, wie sich die
Günstlinge unter dem Blick des Thronfolgers bebend in den Staub warfen. Wie sie
katzbuckelten und schleimten, immer ängstlich darauf bedacht, ja genügend und
bloß nicht zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Er kannte Iain gut genug, um vorauszuahnen, wann
dem Thronfolger der Geduldsfaden riss und er einen seiner Untergebenen mit durchtriebener
Brutalität das Fürchten lehrte. Manchmal schloss Edor stille Wetten mit sich
selbst ab, welchen Günstling der herrschaftliche Zorn als nächstes treffen
würde. Meist behielt er Recht.
Dennoch hatte der Prinz eine Schwäche, die er nicht
genügend deckte. Edor wurde unwohl bei dem Gedanken, was noch auf seinen Cousin
zukommen mochte. Iain musste heiraten, noch wichtiger, er musste einen Erben in
die Welt setzen und so der Welt beweisen, dass er fähig war, Nótts Blut weiter
zu geben. Warum der Thronfolger sich sperrte, war Edor zwar klar,
nachvollziehen konnte er die Zauderei aber nicht. Es war keine Magie notwendig,
ein Weib zu besteigen und zu schwängern.
Als Edor damals gezögert hatte, die Verbindung mit
dem Hause Auður einzugehen und Katlá zu ehelichen, hatte Iain kaltblütig und
hinter dem Rücken seines Cousins die Fäden in der nordischen Politik gezogen,
so dass ein Entkommen für Edor unmöglich wurde. Ein Teil von ihm hasste den
Iain für dieses berechnende Vorgehen – immer noch. Und doch hatte der Prinz
damit übler Nachrede entgegen gewirkt und die argwöhnischen Blicke der sie
umgebenden Männer abgelenkt.
Edor schreckte auf, als er von Iain angerempelt
wurde und sein Oberschenkel schmerzhafte Bekanntschaft mit dem wulstigen Sattel
des königlichen Schimmels Artak machte. Der Adlige unterdrückte einen Fluch,
während Iain ihm dreist zugrinste. Dann wurde die Aufmerksamkeit des Prinzen
abgelenkt, sein Lächeln erlosch.
Edor folgte dem Blick seines Freundes und knirschte
mit den Zähnen. Parallel zum Tross des Prinzen ritt ein Krieger auf seiner
feuerfarbenen Stute. Nachtschwarz glänzte sein Haar. Das Kinn trug er arrogant
gehoben. Es war der Südländer, den Iain vor kurzem als Leibwächter in seinen
Dienst genommen hatte.
Ein gefährlicher Mann. Fremd und – das musste
selbst Edor zugeben – auf eine herbe Art schön. Ja, wären Iains Blicke nicht
gewesen, so hätte Edor selbst mit dem Gedanken gespielt, ob er den Südländer
nicht auf sein Lager holen könnte. So aber trieb ihm der Anblick des
fremdländischen Mannes die Galle hoch.
Er kannte Iain seit dessen erstem Lebensjahr. Edor
selbst hatte keine Erinnerung mehr daran, aber seine Mutter hatte ihm davon
berichtet, wie der ein Jahr jüngere Thronfolger hinter seinem Cousin
hergekrabbelt war, sobald er ihn das erste Mal erblickt hatte. So war es von
Anfang an gewesen. Iain war ihm gefolgt wie ein kleiner Bruder, anhänglich wie
ein Hundewelpe. Und Edor, der im Kreise seiner Familie selbst der jüngste war
und zuweilen durch seine älteren Geschwister drangsaliert wurde, hatte die
Aufmerksamkeit des Jüngeren stets genossen. Selbst, wenn er ungerecht und
gemein zu seinem Cousin gewesen war, war dieser stets zu ihm zurück gekommen. Gemeinsam
hatten sie seine Amme zur Weißglut und die restlichen Bediensteten seines
Vaters in den Wahnsinn getrieben, wenn der königliche Tross sich in den
Herbstmonaten in den östlichen Gemarkungen aufhielt.
Ein melancholisches Lächeln zupfte an Edors
Mundwinkel. Zunächst verschreckt, dann mutiger hatte sich Iain auf seine
tastenden und unwissenden Versuche eingelassen, als Edor auf das Mannesalter
zuschritt und der Körper seines Cousins ihm Gedanken in den Kopf und den Körper
streute, die er nicht auszusprechen wagte. Von Beginn an hatten sie gespürt,
dass sie etwas Verbotenes taten. Dass der Genuss, den sie sich verschafften,
nicht Recht war. Hätte sein Vater sie damals bei ihren Spielereien erwischt, er
hätte Edor in der nächsten Viehtränke ersäuft. Er täte es heute noch.
Edor beobachtete den Prinzen, wie er neben ihm her
ritt und seinen Leibwächter nicht aus den Augen ließ. Ein Fremder mochte nur
die unbewegte Maske des Thronfolgers erblicken, doch Edor kannte seinen Cousin
gut. Viel zu gut. Es lag Hunger in Iains Blick. Ein Hunger, der weiter ging als
oberflächliches Begehren. Hunger, der sich tief in die Knochen fraß und sich
dort einnistete, einem Parasiten gleich. Edor hatte diesen Ausdruck noch nie im
Gesicht seines Freundes gesehen.
Aber er kannte das Gefühl dazu. Er kannte es seit
langem und viel zu gut. Es gab Tage, da fühlte sich er wie ein magerer Hund an
der königlichen Tafel, der darauf wartete, einen Brocken zugeworfen zu
bekommen. Edor verabscheute sich selbst. Verabscheute seine Unfähigkeit, sich
dem nagenden Schmerz in seinem Inneren zu entziehen. Doch die Art, in der Iain
den Südländer betrachtete, ließ das Nagen zu einem Reißen anwachsen. Ratten
hausten in seinen Innereien. Ratten, die denen in den Katakomben seines
Zuhauses glichen, fettgefressen an stinkendem Unrat und der Angst kleiner
Kinder.
Edor rang in den folgenden Stunden um jede Unze
Beherrschung, die er aufbringen konnte. Er ließ den Blick über den Tross
schweifen und unterhielt sich mit Iain und Urza, der zu ihnen aufgeschlossen
hatte. Geplänkel unter Adligen. Nichtssagend, denn die wichtigen Entscheidungen
wurden in größerer Runde besprochen. Dennoch half es ihm, die Ratten zurück zu
lassen in den dunklen Verliesen.
Als sie schließlich am Ort ihres heutigen Lagers
ankamen, konnte Edor Iain wieder in die Augen sehen, ohne den Drang zu
verspüren, den anderen zu packen und ihm den Hunger aus dem Gesicht zu schlagen.
Den heißen Wunsch, das Antlitz des südländischen Leibwächters mit seinem Dolch
zu verzieren, konnte er hingegen nicht so erfolgreich unterdrücken. Der
Hundsfott kuschte nicht so, wie er es sollte, sondern trug den Kopf stolz
erhoben. Es juckte Edor in den Fingern, dem Leibwächter eine Lektion in Demut
zu erteilen.
Während ihre Pferde versorgt wurden und sie gemeinsam
mit den engsten Beratern des Prinzen ein kurzes Mahl einnahmen, grübelte Edor
über den neuen Leibwächter nach. Ein Mann, ausgeschlossen von seinem eigenen
Volk. Was musste er verbrochen haben, dass seine eigene Familie ihn verstieß
und ihm seinen Namen raubte? Ein Verbrecher in den Diensten des Prinzen. So nah
bei ihm, wie kaum ein anderer Bediensteter. Mit dem Ohr an Besprechungen, die
streng vertraulich waren. Obwohl Edor den Prinzen für gewöhnlich in all seinen
Entscheidungen unterstützte, konnte er nicht verstehen, was ihn zu dieser
Dummheit angestiftet hatte.
Iain war ein harter Mann. Er nahm sich, was und wen
er wollte. Doch bisher hatte sein Verstand das Sagen über seinen Trieb gehabt.
Seitdem der Südländer im Dienst des Prinzen stand, zweifelte Edor das erste Mal
an seinem langjährigen Freund. Dabei wäre es nicht schwer gewesen, sich den Mann
zu nehmen – ob er für solche Spiele empfänglich war oder nicht. Die königliche
Sommerresidenz verfügte über ausgedehnte Gänge, die sich tief in den Berg
gruben, auf der die thronte. In ihnen waren schon viele Männer verschwunden.
Die Wände waren dick und ließen keine Schreie entweichen.
Edor leckte sich über die Lippen, als er sich die
Szenerie vorstellte. Der Südländer, aufgespannt von eisernen Fesseln. Iain, der
sich an seinem Köper labte wie ein Wolf sich an seiner Beute. Der sich zu Edor
umwandte, ein hartes Funkeln in den Augen. Sie hätten teilen können. Und
danach, satt und befriedigt, Zerstreuung bei Musik und Trank suchen können,
während der Südländer verrottete, in der Dunkelheit des Berges Keilir
zurückgelassen.
Mit einem kurzen Griff rückte er sein Glied zurück,
das die grausame Fantasie zum aufrechten Eigenleben motiviert hatte. Ein
spöttischer Laut ließ ihn ertappt aufblicken. Hinein in Iains Augen, die ihn
belustigt musterten. Zu der dumpfen Schwere zwischen seinen Beinen gesellte
sich das vertraute Nagen in seinem Inneren. Bei allen Göttern, er wollte Iains
Schweiß von dessen Körper lecken, sich in seinem Moschus suhlen. Er biss sich
auf die Unterlippe – ein Zeichen von Schwäche, das ihm nur selten entkam.
Der Abend war weit voran geschritten, und die
Männer, die mit dem Prinzen gespeist hatten, zogen sich nach und nach zurück.
Für Edor war es ein qualvolles Warten. Ein banges Warten. Könnten sie heute
Nacht ...? Würde der Prinz es wollen? Das letzte Mal war zu lange her, und Edor
fühlte sich, als wöge seine Lust noch schwerer als sonst. Er war sich sicher,
das Iain, der Bastard, um seine Not wusste.
Als der Prinz sich von ihm abwandte, um sich in
sein Zelt zurück zu ziehen, hielt er inne. Ein kurzes Grinsen huschte über sein
Gesicht. Verräterisch und durchtrieben.
„Möchtest du mir nicht noch für eine Partie Hugleikur Gesellschaft leisten?“, fragte
Iain arglos.
Edor war nicht in der Lage, sein Lächeln
einzufangen. Das Nagen in seinem Inneren machte wohliger Wärme und einem
aufgeregten Flirren Platz. Immer noch. Immer wieder. Und wenn es nach ihm
ginge, würde sich hieran nie etwas ändern.
Er nickte stumm und folgte Iain in sein Zelt. Ein
Zelt, das vom dunklen Südländer bewacht werden würde, während sie ihr Spiel
trieben.
~ ~ ~ ~
Nachmals Hallo,
AntwortenLöschenEdor, ein eher unsympathischer Gegenpart zu Forlán, aber seine Ablehnung und sein Widerwille Forlán gegenüber sind nachvollziehbar, schiere Eifersucht, unerfüllte Wünsche - ein Dilemma für ihn mit ansehen zu müssen, wie Iain jemand anderen so eingehend betrachtet und beobachtet und man weiß wie er tickt ....
Vielen Dank für diesen kleinen Einblick in eine süchtig machende Welt!
Anita
Hey Anita,
Löschenehrlich gesagt finde ich Edor gar nicht sooo unsympathisch. Ich denke, er ist gefangen in seiner Rolle - und in der Liebe zu einem Mann, den er nie wirklich haben kann. Dennoch schätze ich seine dunklen und verschrobenen Seiten, sie machen ihn spannend. :)
Dank Dir,
Dewi