Montag, 6. Januar 2014

Unziemlich – Ein Outtake aus der „Staub & Stolz – Welt“



Dies ist ein kleiner Outtake aus der „Staub & Stolz“ – Welt. Wer "Staub & Stolz" noch nicht gelesen hat, sollte diesen Text nicht lesen, denn er enthält Spoiler.

Schon lange geht mir diese Szene im Kopf herum, und am Ende konnte ich mich nicht bezähmen, sie doch noch in Worte zu fassen. Bitte beachtet, dass es sich um einen Rohtext handelt, der weder Lektorat noch Korrektorat durchlaufen hat.

Ich wünsche Euch viel Spaß beim Lesen!

Dewi



***


Unziemlich


Der scharfe Geruch stach in seine Nase und brachte seine Augen zum Tränen. Dennoch fuhr Talog fort, Wurzeln klein zu schneiden und mit der flachen Seite des Messers zu zerdrücken, so dass noch mehr von ihrem dunklen Saft austrat. Er würde jeden Tropfen davon auffangen und in das bereit stehende Gefäß füllen. Innerlich beglückwünschte er sich dazu, dem Steinmetz die flache Steinplatte, auf der er saftende Kräuter verarbeite, aus dem Kreuz geleiert zu haben. Sie war dem Mann gesprungen, so dass Talog die kleinere Hälfte günstig hatte erstehen können. Seit er die Kräuter hierauf schnitt, hatte er weniger Verluste, als wenn er die Pflanzen auf saugenden Holzbrettern zerkleinerte. Zwar musste er nun häufiger seine Messer schärfen, aber das war es ihm wert.
Er begann, eine Melodie zu summen, gab den Versuch aber schnell wieder auf, weil er zu tief eingeatmet hatte. Hustend wandte er den Kopf und presste die Lippen auf die hochgezogene Schulter. Es fehlte noch, dass er die Zutaten des Kräuteröles, welches er gerade zubreitete, von seinem Arbeitstisch hustete oder sie mit seinem Speichel verschmutzte. Er wusste nicht, welche Eigenschaft des Speichels es war, doch gelangte er in manche seiner Zubereitungen, verdarben diese schneller. Auf der anderen Seite war Talog davon überzeugt, dass auch Speichel heilenden Kräfte hatte – warum sollte sonst ein Hund seine Wunden lecken? Selbst Menschen verspürten den Drang, einen blutenden Finger in den Mund zu stecken. Er furchte die Brauen, während er über dieses Phänomen nachdachte.
Nach und nach verarbeitete er die Pflanzen, die er im Morgengrauen gesammelt hatte. In seinem Arbeitsraum wurde es stetig heller. Er blinzelte gegen das Licht und schätzte, dass es kurz vor Mittag sein musste. Sein Magen grollte zustimmend. Doch bevor er die Wurzeln und ihren Saft nicht in das gefilterte Öl gegeben hatte, konnte er seinen Arbeitsplatz nicht verlassen, sonst würden die wertvollen Bestandteile der Pflanzen ihre Wirkkraft verlieren. Also verlagerte es das Gewicht von einem Fuß auf den anderen und beugte sich tiefer über den Stehtisch, den er noch von seinem Lehrmeister übernommen hatte.
Ein energisches Klopfen an der Tür ließ ihn aufblicken. Wahrscheinlich hatte sich irgendein Tölpel von Knecht beim Misten die Forke in den Fuß gerammt und nun schickte man nach Talog, damit der den Schaden richtete. Gereizt hielt er in seinem Tun inne. Er bekam keine Gelegenheit mehr, den Besucher hereinzubitten – oder ihn abzuwimmeln.
Die Tür schwang auf und die Prinzessin der Nordländer, Noirin, trat herein. Sie wirkte erhitzt, einige Strähnen ihres blonden Haares hatten sich aus den geflochtenen schmalen Zöpfen gelöst, mit dem sie den Hauptteil ihres Haares aus dem Gesicht hielt.
Sofort deutete Talog eine kurze Verbeugung an. Nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte, straffte er sich. Zum einen war dies mit ihrem Standesunterschied zu begründen, zum anderen kannte er die Prinzessin gut genug, um zu wissen, dass sie nicht all zu leicht aus der Ruhe zu bringen war. Etwas musste geschehen sein. Wohlmöglich wurde er erneut zu Enlinn, der kränklichen Gemahlin des Königs, gerufen. Sie hatte vor einigen Monaten ihr erstes Kind verloren. Noirin pflegte ihre Schwägerin mit einer Beharrlichkeit, die an Sturheit grenzte und flößte der jungen Frau jeden Schluck Suppe persönlich ein. Nein, schloss Talog, wäre es Enlinn gewesen, zu der man ihn riefe, hätte Noirin einen Boten geschickt, denn sie wäre ihrer Schwägerin nicht von der Seite gewichen. Also blieb nur der junge König. Talog spürte, wie sein Magen absackte. Wohlmöglich ein erneutes Attentat. Seitdem der Südländer Forlán seinen Dienst als Leibwächter quittiert hatte, erwartete ein Teil von Talog jeden Tag die Nachricht, dass die Widersacher des Königs Erfolg gehabt hatten. Es waren gefährliche Zeiten.
„Ich muss mit dir sprechen“, unterbrach Noirin Talogs kreisende Gedanken. Als sie den alarmierten Gesichtsausdruck des Baders bemerkte, fügte sie knapp hinzu: „Es geht nicht um einen Krankheitsfall.“
Talog schnaufte und musterte die Prinzessin verholen. Sie war wie immer schlicht gewandet und hätte auch für eine Dame des niederen Adels durchgehen können – wäre ihre Haltung nicht gewesen, die so gar nichts mit der unterwürfigen Scheu nordländischer Adelsfrauen gemein hatte. Talog musste ein Grinsen unterdrücken, als er daran dachte, wie oft schon ihre Finger vom Zubreiten der Heilkräuter verfärbt gewesen waren – ein undenkbarer Zustand für eine Frau von Stand.
Die Schwester des Königs war nicht nur stolz, sondern auch wissbegierig. Schon als junges Mädchen hatte sie Talogs Lehrmeister und später ihm selbst Löcher in den Bauch gefragt, um alles über die Heilkünste zu erfahren. Inzwischen war sie mindestens so bewandert wie er, wenn es um die Wirkungen der Pflanzen und ihre Anwendung ging. Ja, Talog war überzeugt davon, dass Noirin einem Mann mit einer Kräuteressenz das Leben retten konnte – oder ihn zu einem qualvollen Gifttod verurteilen, wenn sie es für richtig hielt.
Jetzt aber hielt ihre Rechte die Falten des bodenlangen Kleides fest umklammert. Ihm fiel auf, dass sie Schatten unter den Augen hatte, ihre Augäpfel waren gerötet. Er hatte sie in den letzten Monaten mehrmals am Rande der Erschöpfung gesehen, weil ihr königlicher Dickschädel nicht einsehen wollte, dass auch sie Kraft und Schlaf brauchte, wenn sie sich um ihre Schwägerin kümmern wollte. Doch heute schien sie vor Anspannung zu vibrieren.
Das Messer klapperte leise, als er es auf die Steinplatte ablegte. Die Stille zwischen ihnen dehnte sich aus, weil Noirin, anstatt ihr Anliegen vorzubringen, die Lippen fest aufeinander presste. Hätte Talog sich einer anderen Person gegenüber gesehen, hätte er nun ungeduldig die Stirn gerunzelt und sein Gegenüber aufgefordert, endlich mit der Sprache herauszurücken. Doch der tief verankerte Respekt der Prinzessin gegenüber ließ ihn schweigen.
Es war egal, dass er sie hatte aufwachsen sehen und dass er ihr als Halbwüchsiger den Rotz unter der Nase weggewischt hatte, wenn sein Lehrmeister das kleine Mädchen aus seinem Arbeitsraum vertrieb, Prinzessin hin oder her. Auch spielte es keine Rolle, dass er sich noch daran erinnerte, wie sie ihm, einem Welpen gleich, in einer Phase ihres Heranwachsens nachgelaufen war. Die Zeit der anhänglichen Blicke war seit Jahren vorbei und Talog war froh darum. Es ziemte sich nicht, dass sie ihm solche Blicke schenkte. Noch weniger hatte es sich geziemt, dass er sie bemerkt hatte.
Aus dem wissbegierigen Mädchen war eine aufrechte Frau geworden. Eine Frau, die im falschen Körper geboren wurde, denn in ihr hauste der Geist eines Mannes. Sie war ehrgeizig und berechnend. Obwohl ihr selbstbewusstes Auftreten für viel Gerede unter den Adligen sorgte, unterschätzten nur Narren die Schwester des Königs. Viele dieser Narren hatten die letzten Jahre nicht überlebt. Seit ihr Bruder Iain an der Macht war, gab es eine heimliche Doppelregentschaft, denn Noirin zog mehr Strippen in der nordischen Politik als je zuvor. Ihre Tätigkeit als Heilerin war in den Hintergrund getreten. Talog unterdrückte das leise Gefühl von Bedauern, das ihn beschlich, als er daran dachte, wie lange es her war, dass sie sich über medizinische Belange ausgetauscht hatten.
„Möchtet Ihr Euch setzen“, durchbrach er schließlich das Schweigen und deutete auf einen schlichten Schemel, der nahe am Fenster stand.
„Nein“, kam es einsilbig zurück.
Obwohl Noirin behauptet hatte, ihr Anliegen beträfe keinen Krankheitsfall, begann Talog, sich Sorgen zu machen. Ein vertrauter Zustand, sorgte er sich doch zu oft um ihr Wohlergehen.
Noirin straffte sich sichtlich, ihre Hand gab die Falten ihres Kleides frei, als müsse sie sich dazu zwingen.
„Ich habe eine Entscheidung getroffen“, sagte sie fest.
Es war die Tonlage, die sie ihren Gegnern gegenüber nutzte. Leise, deutlich und von der Klarheit gesprungenen Glases. Man konnte sich schneiden an dieser Stimme, wenn man nicht aufpasste.
Talog schwieg und sah sie abwartend an.
„Ich werde mich vermählen“, stieß sie einer Kampfansage gleich aus.
Das Erstaunen kroch langsam durch seinen Körper, bis es im Hirn angelangt war. Unterwegs wurde es von der Verwirrung überholt, die etwas auf ihrem Rücken trug, das bei der Passage durch seinen Magen zwickte. Talog konnte diesem Etwas keinen Namen geben, denn es existierte nicht in seiner Welt.
Seit ihrem siebzehnten Geburtstag wehrte sich Noirin mit Händen und Füßen dagegen, vermählt zu werden. Mit dem kalten Verstand einer Giftmischerin hatte sie sogar ihren Vater dazu gebracht, von jeder Verbindung gegen ihren Willen abzusehen. Nun zählte sie 25 Sommer – wäre sie nicht die Prinzessin des Nordreiches gewesen, hätte kaum noch ein Mann um ihre Hand angehalten. Von einer Frau in diesem Alter waren nicht genügend Kinder zu erwarten.
Auch, wenn er ihr dieses Schicksal nicht gegönnt hatte, war Talog inzwischen davon überzeugt gewesen, dass sie als unvermählte Jungfer enden würde. Denn niemals würde sich die Prinzessin der Nordländer einem Ehemann beugen, der über die Verbindung mit ihr nach Macht strebte. Ein freier Geist wie der ihre würde verkümmern, wenn man ihn an Heim, Herd und eine Schar Kinder kettete.
Es gab nur zwei Konstellationen, die er sich vorstellen konnte, um Noirin dazu zu bringen, den Antrag eines potenziellen Gemahls anzunehmen. Es musste schwerwiegende politische Gründe geben, vielleicht ein Abkommen mit einem mächtigen Bündnispartner, und sie musste diese Gründe als solche empfinden. Ja, das musste es sein. Denn der zweite Grund war undenkbar. Noirin hatte keine Gefühle für einen der Adligen. Und wenn, ließe sie sich dennoch nicht davon in eine Ehe leiten, die ihr über kurz oder lang die Flügel stutzen würde. Talog wurde unwohl beim letzten Gedanken.
„Ich...“, begann er stockend. „Das freut mich für Euch“, sagte er flach und verfluchte sich dafür, dass er nicht dazu in der Lage war, mehr Enthusiasmus aufzubringen. Doch wer sah schon gerne zu, wie ein Greifvogel in einen Käfig gesteckt wurde, in dem er nicht einmal seine Schwingen ausbreiten konnte?
Noirin holte Atem. „Ich habe dich zum Gemahl gewählt“, sagte sie, das Kinn erhoben. Stolz und unbeugsam, das Gesicht glatt und abweisend wie die Mauern der Feste Neer.
Talogs Finger klammerten sich fest um die Kante des Arbeitstisches. Seine Knöchel traten weiß hervor. Das Holz war unnachgiebig unter seinen Fingerkuppen. Schmerz zog von ihnen aus seinen Arm empor. Ihm war schwindlig, es rauschte in seinen Ohren. Er konnte jeden seiner Herzschläge hören, dumpf und zu schnell. Viel zu schnell. Warum schlug sein Herz wie das eines Hasen auf der Flucht? Flucht ... ja. Flucht. Wovor?
Er schluckte trocken. Starrte die Frau vor sich an – und sah sie doch nicht. Seine Welt stürzte um ihn ein, vollkommen lautlos und unbewegt. Aus unten wurde oben. Sein Innerstes wollte sich mit ins Chaos werfen und sich nach Außen wenden. Was nicht zusammen gehörte, nicht sein konnte – durfte! –, sollte sich verbinden. Das war nicht möglich. Vollkommen unmöglich!
„Unmöglich“, sprach er heiser den letzten Gedanken aus, der sich einem Kreisel gleich unermüdlich in seinem Kopf drehte. „Das ... ich ...“, stotterte er und blinzelte träge. Es konnte die Finger nicht von der Tischplatte lösen. Er würde stürzen. Ihr vor die Füße fallen. Sich weiter blamieren. Es musste ein Scherz sein. Ein geschmackloser Scherz. Ja. Unter der Verwirrung breitete sich Schmerz aus. Ganz leise.
Talog versuchte, seinen inneren Aufruhr zu bändigen und aus ihrem unbewegten Gesicht zu lesen. Nein, sie scherzte nicht. Nicht nur ihre kühle Mimik legte davon Zeugnis ab. Auch eine leise Stimme in seinem Inneren, diese Stimme, der er so lange das Maul gestopft hatte, bis sie endgültig verstummt war, zumindest tagsüber, diese Stimme flüsterte leise, dass Noirin niemals über dieses Thema scherzen würde. Es war die Stimme, die sich an jeden ihrer Blicke erinnerte. An jede Berührung ihrer Hände, und sei sie noch so zufällig. Es war die Stimme, die vorgab, die Frau vor ihm zu kennen. Besser, als jeder andere.
Für einige Herzschläge sah sie ihm noch ins Gesicht und er hatte keine Ahnung, was in ihr vorging. Kurz kam es ihm so vor, als sähe er Schmerz in ihren Augen, aber die Maske der Prinzessin saß zu gut.
Etwas in ihm wand sich unter dem kalten Blick, den Noirin sonst nur für klatschsüchtige Adelsweiber und ihre gockelhaften Gemahle übrig hatte. Seit wann sah sie ihn auf der anderen Seite? Er war immer loyal gewesen. Er war es sogar jetzt noch, da sie ihn in tiefe Verwirrung stürzte. Und er würde es bleiben. Egal, welch absurder Plan hinter dieser Ankündigung steckte.
Bevor Talog sich regen oder einen vernünftigen Satz heraus bringen konnte, drehte Noirin sich um, öffnete die Tür und eilte aus dem Zimmer. Sie zog nicht einmal die Tür hinter sich zu, so dass er ihre eiligen Schritte noch hören konnte, bis sie in den Gang abbog, der zum königlichen Trakt Farstads führte.
Die Prinzessin eilte nie, außer sie wurde zu einem Notfall gerufen. Aber jetzt rannte sie fast. Der Schwindel in Talogs Schädel nahm zu. Noirin floh. Vor ihm. Vor seiner Reaktion. Vielleicht auch vor ihrem eigenen Mut.
Sie meinte es ernst.
Bei allen Dämonen der Unterwelt! Der König würde ihn umbringen, wenn er davon erfuhr. Und das zurecht.




***




1 Kommentar:

  1. Liebe Dewi,

    auch an dieser Stelle noch einmal "Danke" für ein ganz wunderbares, süchtig machendes Stückchen "Staub & Stolz", Du hast eine magische Welt erschaffen.

    Anita

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